Montag, 12. November 2012
Wie wird man zum Geiger/ zur Geigerin?
Ich habe ja selbst diese Phase durchgemacht, in der ich meinen damaligen Freund neun Monate lang betrogen habe. Aber ich glaube, dass bei mir nicht die typischen Gründe vorlagen. Denn die Beziehung zu Thomas war eigentlich recht frisch und bis zu dem Zeitpunkt, als ich Andreas traf, auch wunderschön. Ich war glücklich mit Thomas, er gab mir alles, was ich in diesem Stadium als jugendliche Frau brauchte. Manchmal merkte ich, dass ich ihm gedanklich irgendwie "überlegen" war. So las er zum Beispiel überhaupt nicht gern und hat meine begeisterten Erzählungen über Dürrenmatts "Alte Dame" mit einem Fußballergebnis seiner Lieblingsmannschaft unterbrochen. Aber das fand ich nicht weiter schlimm. Dann teilte ich meine intelektuellen Interessen eben mit mir selbst.

Als Andreas kam, merkte ich auf einmal, dass ich nicht die einzige war, die gerne Jazz hörte oder Klassiker wie Kafka las. Das hat mir imponiert und meinen Freund Thomas völlig in den Schatten gestellt. Andreas wurde dadurch sehr interessant für mich. Ich verliebte mich in den Mann, der so viel reifer war als Thomas und mir ein Stück die Welt erklärte. Thomas hingegen hat sich von mir die Welt erklären lassen.

Wieso hat Andreas aber eine Frau betrogen, bevor er überhaupt mit ihr zusammen war? Eine ganz große Rolle hat sein Beruf und die Beziehung zu mir innerhalb seines Berufes gespielt. Eine öffentliche Beziehung hätten wir zu dem Zeitpunkt nicht führen können und müssten uns anderthalb Jahre vor allen Leuten verstecken. Außerdem machte ihm sicher der Altersunterschied zu schaffen. Einfach so sich zu einer 15 Jahre jüngeren Frau zu bekennen, verlangt schon einiges an Mut. Er zweifelte zudem an sich selbst und hatte schon Sorgen, er sei nicht normal, weil er sich in ein junges Mädchen verliebt hatte. Seine Freundin - so behaupte ich - sollte ein Stück weit Normalität in seinem Leben darstellen. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er sich in mich verliebt hatte. Also auch hier: kein typisches "Geigerverhalten".

Dieses typische Bild "Mann betrügt Ehefrau mit der er schon seit Jahren verheiratet ist" entsteht anders:
Ich denke, dass Männern, die ihre Frauen betrügen, der Mut fehlt. Das ist die Grundvoraussetzung, dass man(n) überhaupt fremdgehen kann. Denn wenn man genug Mut besitzt, kann man entweder Dinge, die einen in der Partnerschaft unzufrieden machen mit seinem Partner besprechen, oder genug Mut aufbringen, um sich zu trennen und den Schritt aus seinem ursprünglichen Leben zu machen. Dann gehört eine ordentliche Portion Egoismus dazu. Ich vergleiche das immer mit einem Garten: Die Früchte, die in dem eigenen Garten nicht mehr wachsen werden nun aus dem Nachbargarten geklaut. Gepflegt wird der Nachbargarten allerdings nicht - nur beklaut.

Und zu guter Letzt spielt der Zufall eine nicht ganz unwichtige Rolle. Denn wenn sich die Gelegenheit zum Fremdgehen nicht gibt, kann man es auch nicht tun.

Übrigens: Wenn man einen Hang dazu hat, Konflikten aus dem Weg zu gehen, geht man eher fremd. Die Geliebte ist dann sozusagen "Ersatz" für das, was der Mann bei der richtigen Ehefrau nicht bekommt. So war es bei mir auch. Gottseidank habe ich dann auch (leider erst viel zu spät...) die Konsequenzen daraus gezogen und mich von meinem Freund getrennt und mich somit ganz auf Andreas eingelassen.

Während meiner Zeit als Betrügerin habe ich auch eine ganz spannende Beobachtung gemacht: Ich hatte nicht - wie man annehmen könnte - ein immer schlechteres Gewissen meinem Freund gegenüber. Der Zeitpunkt des schlechtesten Gewissens war der erste Kuss, den ich mit Andreas getauscht hatte. Danach wurde das Gewissen immer leiser - oder ich habe es einfach immer mehr ignoriert. Man gewöhnt sich irgendwann daran, dass man den eigenen Freund betrügt und wenn man sieht, dass es so einfach ist, setzt das die Hemmschwelle natürlich enorm herab, je öfter man sich mit dem anderen/der anderen trifft.

Ich weiß nicht, ob das etwas in einem kaputt macht. Ich weiß nur, dass ich mich im Nachhinein wahnsinnig schäme und in Grund und Boden versinken könnte deswegen.

Wenn man einmal angefangen hat, seinen Partner zu betrügen (One-Night-Stands ausgeschlossen - darin habe ich keine Erfahrung), gibt es kaum einen Weg heraus. Man wartet auf Gelegenheiten, es dem Partner zu sagen, aber dann packt einen die Angst.

Wenn man so weit ist und sich dazu entschlossen hat, dass man sich für den anderen/die andere trennen möchte, wartet man auf eine passende Gelegenheit und einen passenden Grund, sich vom Partner zu trennen. Denn ein einfaches "ich liebe Dich nicht mehr" reicht in den meisten Fällen nicht aus, um das "Warum" zu beantworten. Und aus dem Warten resultiert Abstumpfung. Wenn man abstumpft und sich an den Zustand gewöhnt, findet man noch schwerer heraus. Deswegen dauern solche Dreiecksbeziehungen meist ewig und kommen in manchen Fällen nicht einmal zu einem Ende. Und da Geliebte oft emotional so abhängig vom Geiger sind, dass sie das Gefühl haben, nicht ohne sie leben zu können, gibt es selten einen Schlussstrich von der/dem Geliebten.


Bei dem Versuch, so wenig Schaden und so wenig Verletzung wie möglich auszulösen passiert genau das Gegenteil: Die Beteiligten werden von einer Lüge viel stärker verletzt, als durch die knallharte Wahrheit.

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